Singen ist eine Form der Klangerzeugung, die sich von der Sprache durch ihre melodische Intonation und Rhythmik unterscheidet, und diese wiederum unterscheidet sich von der Instrumentalmusik durch die stimmliche Struktur und die stimmliche Resonanz. Eine Studie von Norman-Haignere et al. (2022) zeigte nun, dass der menschliche auditorische Cortex nicht nur selektiv auf Musik im Vergleich zu Sprache reagiert, sondern dass dies durch neuronale Subpopulationen vermittelt wird, die spezifisch auf verschiedene Arten von Musik reagieren, einschließlich einer Untergruppe für Gesang. Frühere Neuroimaging-Studien haben darauf hingedeutet, dass Musik im nicht-primären auditorischen Cortex des Menschen anders repräsentiert wird als andere Arten von Klängen. In der aktuelle Studie konzentrierte man sich auf die neuronale Repräsentation von Musik und natürlichen Klängen, wobei eine besondere Form der Neurobildgebung (Elektrokortikographie) verwendet wurde, mit der eine bessere räumlich-zeitliche Auflösung im Vergleich zu nicht-invasiven Methoden möglich ist. Man fand zwei Komponenten, die fast nur auf Sprache reagieren, egal ob Muttersprache oder Fremdsprache, und somit keine sprachlich bedingte Selektivität aufweisen. Sie nehmen dabei bestimmte Merkmale von Sprache auf, die bestimmte Frequenzspektren aufweisen, wie z. B. Phoneme, die mit niedriger Frequenz gesprochen werden, im Gegensatz zu Frikativen, die mit hoher Frequenz gesprochen werden.
Dabei fand man eine hochspezifische Komponente für Musik mit Gesang, was darauf hindeutet, dass das menschliche Gehirn Gesang mit einer kleinen ganz bestimmten Untergruppe von Neuronen wahrnimmt, denn jeder Stimulus, der Musik mit Gesang enthielt, rief eine starke Reaktion hervor, nicht aber andere Klänge, auch nicht Instrumentalmusik oder Sprache. Dies deutet darauf hin, dass die Selektivität nicht einfach auf die Summierung der Selektivität für Sprache und Musik zurückzuführen ist. Eine weitere Analyse zeigte auch, dass es Komponenten gibt, die binär auf Sprache, Musik und Gesang reagierten, was das Vorhandensein einer nichtlinearen Reaktion auf Gesang weiter unterstützt, denn diese Komponente reagierte weder auf Sprache noch auf Gesang, was zeigt, dass die Selektivität von Musik anders ist als die von Sprache oder Gesang.
Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass es mehrere verschiedene neuronale Subpopulationen gibt, die selektiv auf verschiedene Arten von Musikklängen reagieren, und eine davon reagiert ausschließlich auf gesungene Musik. Man vermutet auch, das diese Gruppe von Neuronen durchaus mit anderen Teilen des Gehirns verbunden sein könnten, die für Gedächtnis und Emotionen zuständig sind, was erklären könnte, warum Lieder bei manchen Menschen starke Gefühle auslösen und alte Erinnerungen wachrufen können. Diese gesangs-selektiven Neuronen könnten auch mit motorischen und prämotorischen Regionen interagieren, die ebenfalls auf Gesang und andere Musik reagieren, wobei diese Regionen eine gegenseitige Rückkopplung auslösen könnten. Es ist auch bekannt, dass Menschen sich an vertonte Wörter besser erinnern als an reine Instrumentalmusik, vielleicht weil erstere mehr Aufmerksamkeit erregt, wobei dies durch spezifischere Repräsentationen in hochrangigen sensorischen Regionen ermöglicht werden könnte.
Literatur
Norman-Haignere, Sam V.Cortex Feather, Jenelle, Boebinger, Dana, Brunner, Peter, Ritaccio, Anthony, McDermott, Josh H., Schalk, Gerwin & Kanwisher, Nancy (2022). A neural population selective for song in human auditory cortex. Current Biology,doi:10.1016/j.cub.2022.01.069.
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