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Auch Insekten werden wählerisch

    Menschen bewerten die Dinge in der Regel nicht nach ihrem absoluten Wert, sondern nach individuellen Bezugspunkten, also einem Hauptaspekt der Prospect-Theorie. Die Prospect-Theorie ist eine psychologische Theorie, die davon ausgeht, dass für viele Menschen nicht das Gewinnen sondern das Vermeiden von Verlusten die entscheidende Motivation darstellt. Sie ist heute ein wesentlicher Bestandteil der Verhaltensökonomik und mit ihrer Hilfe können viele Verhaltensanomalien erklärt werden, also Verhaltensweisen, die mit dem rationalen Verhaltensmodell nicht vereinbar sind. So bewerten Menschen ein neues Gehalt im Vergleich zu früheren Gehältern und Gehältern ihrer Altersgenossen und nicht bezogen auf das absolute Einkommen. Das gilt auch für höher entwickelte Tiere wie Primaten, bei denen ähnliche Prinzipien wie beim Menschen nachgewiesen werden konnten.

    Ähnliches Verhalten konnte von Wendt et al. (2019) nun sogar bei Insekten nachgewiesen werden, denn Ameisen, die erwarten, minderwertige Lebensmittel zu finden, zeigten eine höhere Akzeptanz von Lebensmitteln mittlerer Qualität als Ameisen, die mittlere Qualität erwarteten. Ameisen, die eine höhere Nahrungsqualität erwarteten, lehnten im Gegensatz zu Tieren einer Kontrollgruppe die mittlere Qualität häufig ab, d. h., sie zeigten sich enttäuscht und ordneten dem Futter einen geringen Wert zu. Auch war die Begeisterung mit der die Ameisen andere Tiere über die Nahrungsqualität durch eine Pheromonspur informierten, direkt mit der positiven oder negativen Erfahrung verknüpft. Weitere Experimente zeigten, dass diese Kontrasteffekte eher aus kognitiven als aus rein sensorischen oder präkognitiven Wahrnehmungen resultieren. Auch soziale Informationen, die im Bau gewonnen werden, können auch als Anhaltspunkt dienen, denn die Qualität der Nahrung, die von anderen Ameisen erhalten wurde, beeinflusste den wahrgenommenen Wert der später selber gefundenen Nahrung. Diese Bewertung ist offenbar ein Schlüsselelement der Entscheidungsfindung und beeinflusst die relative Wertwahrnehmung deutlich.

    Übrigens: Insekten haben wie etwa auch Ringelwürmer kein Gehirn, das mit dem von Säugetieren vergleichbar wäre, sondern in ihrem Strickleiternervensystem – auch metameres Nervensystem – übernimmt ein besonderer Nervenknoten, das Oberschlundganglion, wichtige Funktionen, und sich befindet bei den meisten Insekten im Kopf. Deren Strickleiternervensystem besteht aus zwei Längssträngen, die über die ganze Länge des Tieres verlaufen und in jedem Segment je ein Ganglion bilden. Jedes Segment des Körpers enthält dabei zwei Ganglien oder ein aus den beiden zusammengewachsenes Fusionsganglion, das in der Regel zur Steuerung der Organe dieses Segments dient. Das zum Gehirn analoge Oberschlundganglion besteht aus drei Teilen: dem Protocerebrum, dem Deutocerebrum und dem Tritocerebrum. Das Protozerebrum ist für die Optik des Insekts zuständig und mit den Augen verbunden, auch finden sich dort wichtige Verschaltungszentren, die komplexe Verhaltensweisen steuern. Das Deutocerebrum verarbeitet die Informationen, die das Insekt über die Fühler aufnimmt, deren Muskulatur ebenfalls davon gesteuert wird. Das Tritocerebrum verbindet das Oberschlundganglion mit anderen wichtigen Körperteilen des Insekts. Durch diese Konzentration an Nervenzellen wird eine höhere Leistungsfähigkeit erreicht, denn so können Bienen und Hummeln Probleme lösen und voneinander lernen.

    Literatur

    Stangl, W. (2019). Stichwort: ‚prospect theory‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    WWW: https://lexikon.stangl.eu/6512/prospect-theory/ (2019-07-08)
    Wendt, S., Strunk, Kim S., Heinze, J., Roider, A. & Czaczkes, Tomer J. (2019). Positive and negative incentive contrasts lead to relative value perception in ants. eLife, doi: 10.7554/eLife.45450.




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